Die Religionen Fernwests

Beschäftigt man sich mit den Religionen Fernwests, mag man sich zunächst darüber wundem, wie viele oft auch widersprüchliche Lehren einträchtig nebeneinander existieren. Die ZhongGo (so nenne sich die Fernwestler selbst) fragen nicht nach Gegensätzen, sie kennen kein "entweder - oder!", sondern nur ein "sowohl als auch". Die einzigen Schlachten, die sich die Vertreter der verschiedenen Richtungen liefern, sind Rededuelle, bei denen von den Chronisten genau aufgezeichnet wirde, wer als redegewandtester Sieger daraus hervorgeht.



ShenMen - der göttliche Weg

Die älteste Religion der KanThai ist ShenMen, der göttliche Weg; ihr Schlüsselbegriff ist das Kami, der Inbegriff höherer Wesenheiten. Alles Außerordentliche - Götter, Elementar- und Naturgeister, Berge, Seen und auch der Jadekaiser selbst - gilt als Kami, d.h. ist erhaben und verehrungswürdig. Mit dem Glauben an eine beseelte und belebte Natur geht der Glaube einher, daß die Seelen Verstorbener und die Geister mancher Tiere einen Menschen besessen machen können. Der Volksglaube und der Ahnenkult sind die am weitesten verbreiteten und bis heute lebendigen Facetten des ShenMen.



Der Volksglaube

Die Grundlage sämtlicher geistiger Strömungen ist der Volksglaube, ein Schmelztiegel des Glaubens und Aberglaubens vieler Jahrhunderte. Das einfache Volk hat sich einen Götterhimmel geschaffen, an dessen Spitze als oberste Gottheit der Himmelskaiser und seine Gemahlin, die Himmelsmutter, stehen. Daneben bevölkern diese überirdischen Sphären noch viele kleinere Götter und auch alle jemals in der Geschichte verehrten himmlischen Wesen, ja selbst die Gottheiten der unterworfenen oder besiegten Völker haben hier ein heimeliges Plätzchen gefunden. Manchmal handelt es sich bei den Himmelsbewohnern sogar um ehemalige Sterbliche, die durch besondere Verdienste oder Weisheit Unsterblichkeit erreicht haben und sich jetzt zu den Göttern gesellen dürfen. Ein Beispiel ist der Kriegsgott KuanTi, der unter seinem sterblichen Namen KuanYu in der Frühzeit der Kleinen Königreiche ein berühmter General war.

Das Volk erwartet von seinen Opfern an die Götter, daß sie sich in Form von Reichtum und Wohlergehen auszahlen werden. Die Priester und Schamanen sollen das Volk hauptsächlich vor bösen Geistern schützen, die praktisch überall lauern können.



Der Ahnenkult

Allergrößte Bedeutung kommt in Fernwest der Ahnenverehrung zu. Die ZongGo glauben , daß der Mensch zwei Seelen besitzt, die sie Hun und Po nennen. Die Po-Seele belebt den Körper des Menschen und ist tierischer Natur, sie entspricht dem Yin. Sie stirbt normalerweise zusammen mit dem Körper. Macht man jedoch beim Begräbnis Fehler, kann aus der Po-Seele ein bösartiges Gespenst entstehen. Die Hun-Seele ("Atemseele") entspricht dem Yang und verleiht dem Menschen seine Persönlichkeit. Sie existiert nach dem Tode weiter, wenn ihr die Nachkommen Opfer dar bringen.

Die ZhongGo glauben allerdings nicht an ein Leben nach dem Tode (sieht man einmal von der Durchreisestation "Hölle" ab), sondern normalerweise erwartet ein ZhongGo, in einem seiner Nachkommen wiedergeboren zu werden. So wird verständlich, daß die Suche nach Unsterblichkeit für viele ein sehr wichtiges Ziel ist (s. Geheimnisse des Tao): die Unsterblichen teilen sich mit den Göttern das Paradies.

Die ZhongGo verehren vier Generationen von Ahnenseelen, vom Familienoberhaupt aus zurückgerechnet. Von den Seelen der fünften Generation nimmt man an, daß sie bereits in den jüngsten Mitgliedern der Familie wiedergeboren wurden.

Die Hun Seele eines mächtigen Ahnen verleiht dem neugeborenen Menschen Kraft, Tugend, Eigenschaften und Schicksal des Vorfahren. Sie besitzt einen geheimen Seelennamen, der durch alle Wiedergeburten hindurch gleich ist. Die Eltern versuchen mittels magischer Rituale zu ermitteln, welche Seele in ihrem Kind wiedergeboren wurde und teilen dem Kind seinen ermittelten Seelennamen als geheimen persönlichen Namen (TaNa) mit.

Die Kenntnis des geheimen Namens ist notwendig, will man einen Ahnen in einem Ritual um Rat fragen. Erfährt man zu Lebzeiten den Seelennamen eines Menschen, erhält man magische Macht über ihn. Aus der Zeit der Shen Dynastie ist die Geschichte von der verratenen Orchidee überliefert, die von der Bedeutung des TaNa erzählt.

Die kaiserlichen Herrscherhäuser haben neben ihren persönlichen Namen auch noch einen Geschlechternamen, eine Art Familienwappen. Diese Namen sind der Entstehungsgeschichte des Geschlechts entsprungen und besitzen ebenfalls magische Macht, die auf den Gründerahnen zurückgeht. Die Namen sind natürlich bekannt, und Symbole wie >Rotes Banner< oder >Grüner Drache< sind viel zu mächtig, um durch bloße Kenntnis dem Geschlecht schaden zu können. Solange die magische Kraft des Namens nicht verbraucht ist, kann das Herrschergeschlecht angeblich nicht gestürzt werden.



Die Unterwelt

Die fernwestliche Unterwelt ist ein Reich, in dem das Chaos wesentlich umfassendere Wirkungen hat: die Hölle. Dort herrschen die Yamakönige, schreckliche Dämonen der Unterwelt, und ihre Handlanger.

Der ordnungsgemäße Eingang der Hölle soll sich im Norden bei den legendären Gelben Quel len befinden. Verstorbene ZhongGo müssen sich dort einem Gerichtsverfahren mit allen bürokratischen Schrecken unterziehen und gemäß den begangenen Untaten in einer der sieben Höllen schmoren, bis sie die Höllenknechte wieder auf das Rad des Lebens binden.


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Last modified: May 1997